Die Geschichte der Hugenotten

Französisch-reformierte Glaubensflüchtlinge in Deutschland


Einzug der Hugenotten. Glasfenster im Rathaus Erlangen (Ausschnitt); © Deutsche Hugenotten-Gesellschaft e.V.

Rund 170.000 reformierte Christen flohen im 17. und 18. Jahrhundert aus Frankreich, viele von ihnen kamen nach Deutschland. Um 1700 war jeder fünfte Berliner ein Hugenotte.

Der früheste Beleg der Bezeichnung „Hugenotten“ findet sich in einer alten französischen Handschrift aus dem Jahr 1551. Darin werden Bilderstürmer als „böse Hugenottenrasse“[1] bezeichnet. Doch woher stammt eigentlich der Begriff „Hugenotten“ und was bedeutet er?

Schlägt man beispielsweise Meyers Großes Taschenlexikon (in 25 Bänden) auf, so findet sich darin die Information, dass der Name vom deutschen Wort „Eidgenossen“ abgeleitet sei.[2] Dieses entspricht der üblichen Auskunft, die man in deutschsprachigen Lexika seit langer Zeit erhält. Vertreter dieser Ansicht sind davon überzeugt, dass dieses Wort die Protestanten als Partei des Genfer Reformators Johannes Calvin diskreditieren sollte.

Die gegenwärtige Hugenottenforschung hat sich jedoch von dieser Herkunftsbeschreibung weitgehend verabschiedet, ohne dass man eine eindeutige Antwort nach dem Ursprung des Wortes Hugenotten gefunden hat.[3]

Manche Autoren verweisen bei der Begriffserklärung auf eine Lokalsage aus der französischen Stadt Tours. Ein Schreckgespenst, das sich nachts angeblich in den Straßen dieser Stadt herumtrieb, war der König Hugo. Um 1550 leistete sich ein katholischer Mönch in einer Predigt den Witz und bezeichnete die Evangelischen, die sich damals nur bei Nacht heimlich versammeln konnten, als kleine Hugos, als „Hugenotten“.

Woher der Name auch immer stammt: Es ist festzustellen, dass sich dieser Spottname von Ort zu Ort verbreitete.

Von 1560 an wird das Wort in ganz Frankreich gebraucht und es verdrängt alle bisherigen Bezeichnungen für die Anhänger der evangelischen Lehre. Der reformierte Theologe Theodor Beza formulierte 1560 in Genf: „Man hatte in Lyon von Lutheranern oder, wie man sie jetzt nennt, Hugenotten reden hören.“[4]

Doch sind die Hugenotten, wie hier der Eindruck erweckt wird, Lutheraner? In der Tat beeinflusste zunächst der deutsche Reformator Martin Luther (1483-1546) durch seine Schriften die kirchenreformerische Bewegung in Frankreich. Folglich wurden die ersten Evangelischen von ihren Gegnern auch als luthériens bezeichnet. Doch bald gewann die Reformationsbewegung in Frankreich mit dem Nordfranzosen Johannes Calvin (Jean Calvin,1509-1564) ihren prägendsten Kopf.

Calvin, der zusammen mit dem Zürcher Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531) zu den bedeutendsten „Vätern“ der reformierten Kirche zählt, war von Haus aus kein Theologe, sondern Jurist. Es ist also durchaus korrekt, wenn das eingangs zitierte Meyers Großes Taschenlexikon definiert, dass Hugenotten die Bezeichnung „für die französischen kalvinistischen Protestanten“[5] sei.

Der Mithilfe Calvins verdankt die reformierte Kirche Frankreichs ihr Glaubensbekenntnis und die Kirchenordnung. 1559 trat die erste Nationalsynode zusammen. Im Unterschied auch zu den deutschen lutherischen Landeskirchen wurde bereits damals eine Kirchenverfassung mit weitestgehender Selbstverwaltung der Kirchengemeinden geschaffen.

Man entwickelte mit klarer Absage an jede kirchliche Hierarchie eine von Presbyterien und Synoden geleitete Gemeindekirche, in der es für Bischöfe grundsätzlich keinen Platz gab. Ein krasser Gegensatz zur katholischen, aber auch zur damaligen lutherischen Kirche war die Beteiligung von Laien in kirchenleitenden Funktionen. Geleitet wurde jede Kirchengemeinde durch das von Gemeindegliedern auf Lebenszeit gewählte consistoire, das in etwa einem heutigen Kirchenrat vergleichbar ist. Dieses ist zuständig für die religiös-kirchliche Selbstverwaltung, übt vor allem die Kranken- und Armenfürsorge und die so genannte Kirchenzucht innerhalb der Gemeinde aus.

Lange Zeit blieb der Spottname Hugenotten eine Fremdbezeichnung. In Frankreich verstanden sich die Evangelischen selbst als Reformierte (réformés). Von Staats wegen galten die französischen Protestanten abwertend als Angehörige der religion prétendue réformée (RPR), was ins Deutsche übersetzt „angeblich reformierte Religion“ bedeutet. Tatsächlich bin ich beispielsweise bei der Auswertung der Archivalien der Französisch-reformierten Gemeinden in Celle und Lüneburg von 1686 bis 1805 niemals auf den Begriff Hugenotten gestoßen. Man nannte sich stets Französisch-Reformierte.

Wenn heutzutage alle Welt dennoch beispielsweise von Hugenotten (deutsch), Huguenot (französisch), Huguenots (englisch) oder Hugenoten (niederländisch) spricht, so ist das freilich nicht mehr diskriminierend gemeint. Der einstige Spottname wandelte sich zu einem Ehrentitel.

Als Selbstbezeichnung bürgerte sich der Name im großen Umfang freilich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Und es hat sich inzwischen auch in der Genealogie eingebürgert, die Nachkommen der französisch-reformierten Glaubensflüchtlinge allgemein Hugenotten-Nachfahren zu nennen.

Die Geschichte der Hugenotten in Frankreich

Um die Flucht tausender Hugenotten aus Frankreich zu verstehen, kommt man nicht umhin, zunächst einen Blick nach Frankreich zu werfen. Die Geschichte der reformierten Christen in diesem Land ist eine wechselvolle Geschichte von Verfolgung, Bürgerkriegen und Duldungsedikten.[6]

Tatsache ist, dass sich die Reformation in Frankreich trotz zahlreicher staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen, wozu auch Ketzerverbrennungen zählten, kontinuierlich ausbreiten konnte. Im Gegensatz zu den deutschen Territorien, in denen die Reformation durch die evangelischen Landesherren gefördert wurde, hat die reformatorische Bewegung in Frankreich gegen den Widerstand der Krone Fuß gefasst. Besonders in Süd- und Südwestfrankreich entstanden zahlreiche reformierte Kirchengemeinden.

Schätzungen gehen davon aus, dass sich bis zu 30 % der Franzosen von der römisch-katholischen Kirche abgewandt hatten.[7] Der Übertritt eines bedeutenden Teils des Hochadels ließ sehr schnell die konfessionelle Auseinandersetzung in eine machtpolitische umschlagen, die den Zusammenhalt des französischen Staates gefährdete.

Acht Religionskriege, deren erster durch ein Massaker an hugenottischen Gottesdienstbesuchern in Vassy ausgelöst wurde, prägten die Geschichte Frankreichs in den Jahren 1562 bis 1593. Durch den ständigen Wechsel von Sieg und Niederlage, von Toleranzedikten und Terrormaßnahmen führten die Kriege zu einer Eskalation der Gewalt auf beiden Seiten.[8]

Durch die Hochzeit des Hugenotten Heinrich von Navarra mit der Schwester des französischen Königs, der Katholikin Margarethe von Valois, sollte die Versöhnung zwischen beiden Religionsparteien besiegelt werden. Die Mutter des Königs, Katharina von Medici, sowie die katholischen Herzöge von Guise, welche die Hochzeit inszenierten, nutzten die Anwesenheit zahlreicher führender Protestanten in Paris heimtückisch aus, um die reformierte Partei endgültig zu zerschlagen. Traurige Berühmtheit hat diese Bartholomäusnacht erlangt, in der am 23./24. August 1572 tausende Hugenotten in Paris und anderen Orten niedergemetzelt wurden. Zu den Opfern zählte auch der Anführer der Hugenotten, der Admiral Gaspard de Coligny, sowie ein Großteil des reformierten Adels.

In Rom ließ der darüber erfreute Papst Gregor VIII. eine Siegesmedaille mit der Aufschrift Niedermetzelung der Hugenotten (Ugonottorum Stranges 1572) prägen und gab bei Giorgio Vasari ein Historienbild in Auftrag, das noch heute als dreiteiliges Fresko in der Sala Regia des Vatikan betrachtet werden kann.[9]

Der Hugenotte Heinrich von Navarra trat 22 Jahre später aus dynastischen Gründen zum Katholizismus über, um als Heinrich IV. König von Frankreich zu werden. 1598 erließ er nach schwierigen Verhandlungen das berühmte Edikt von Nantes, das den französischen Protestanten Gewissensfreiheit zusicherte und unter Einschränkungen die Ausübung reformierter Gottesdienste gestattete. Die Reformierten erhielten nun Zutritt zu allen Staatsämtern. Die Hugenotten, denen über 100 Sicherheitsplätze mit eigenem Militär und Gouverneure zugebilligt wurden, bildeten in der Tat so etwas wie ein Staat im Staate.

Bereits unter dem Nachfolger des von einem fanatischen Mönch ermordeten König Heinrich IV., Ludwig XIII., setzten erneute Unterdrückungsmaßnahmen einschließlich militärischer Aktionen gegen die Hugenotten ein. So musste sich beispielsweise die hugenottische Seefestung La Rochelle 1628 nach 15-monatiger Belagerung ergeben. Von den ursprünglich 17.000 Einwohnern waren 12.000 umgekommen.

Auch der Enkel Heinrichs IV., der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., lehnte die Toleranzpolitik seines Großvaters ab. Als absolutistischer und durch und durch katholischer Monarch, der neben der politischen auch die religiöse Einheit des Staates anstrebte, verschärfte er kontinuierlich die Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber den Hugenotten.

Dazu zählten unter anderem Berufsverbote, Verweigerung eines würdigen Begräbnisse und Schleifen der Leichen zum Schindanger, Kopfprämien beim Übertritt zur katholischen Kirche, Einquartierung von Dragonern in protestantischen Häusern, Aufhebung der Elternrechte bei der religiösen Erziehung der eigenen Kinder oder das Verbot des öffentlichen Psalmgesanges. Ziel war die Rekatholisierung der protestantischen Untertanen. „Une foi, une loi, un roi“ (ein Glaube, ein Gesetz, ein König) lautete die Devise des „Sonnenkönigs“.

Schlusspunkt der Kampagne gegen die Reformierten bildete das Edikt von Fontainebleau vom 18. Oktober 1685, mit dem der französische König das Edikt von Nantes seines Großvaters widerrief und die Rechte der protestantischen Minderheit aufhob.

Zwölf kurze Paragraphen besiegelten das Schicksal der reformierten Kirche Frankreichs und ihrer Anhänger.

Die wesentlichen Merkmale waren folgende:

  • Alle reformierten Kirchengebäude sollten sofort zerstört werden.
  • Reformierte Gottesdienste wurden verboten.
  • Die meisten Hugenotten wurden zwangsweise rekatholisiert und ihre Kinder katholisch erzogen.
  • Alle reformierten Pfarrer, die nicht zum Katholizismus übertreten wollten, sollten das Land innerhalb von 14 Tagen verlassen; andernfalls drohte die Galeerenstrafe; ihre Kinder, die älter als sieben Jahre waren, mussten zurückbleiben.
  • Die Auswanderung der hugenottischen Gemeindeglieder wurde bei schwerster Strafe verboten.

In Frankreich konnten die Reformierten fortan nur noch unter großen Gefahren ihren verbotenen Glauben praktizieren. Eine kleine Zahl überlebte als so genannte „Kirche der Wüste“ (église du desert) vorwiegend im südfranzösischen Untergrund. Und es ist ein Wunder, dass die reformierte Kirche in Frankreich bis zum heutigen Tag überlebt hat. Protestanten bilden in Frankreich heute jedoch nur noch 1,5 % der Bevölkerung.[10]

Trotz wiederholten Verbots kam es zur größten Massenauswanderung im Europa der Frühen Neuzeit. Findet sich in älterer Literatur die Zahl von 500.000 bis 600.000 Glaubensflüchtlingen,11] so geht die heutige Hugenottenforschung davon aus, das 160.000 bis 170.000 Hugenotten nicht vor den Gefahren der Flucht und einer Verhaftung zurückschreckten. Das entsprach in etwa 0,9 % der damaligen Gesamtbevölkerung Frankreichs.

Das Vermögen der Flüchtlinge wurde vom französischen Staat konfisziert, den Männern drohte bei Entdeckung lebenslange Galeerenstrafe und die Frauen wurden in Klöster gebracht oder ins Gefängnis geworfen.

Es sollte nicht übersehen werden, dass seit den Kindheitstagen der reformierten Kirche in Frankreich Frauen und Männer aus Glaubensgründen ihre Heimat verlassen hatten. Dazu zählte selbst der Reformator Johannes Calvin, der letztlich in Genf eine neue Heimat fand. Die Flut der Flüchtlinge ebbte nie ab und sie schwoll in Zeiten besonderer Verfolgungen, wie beispielsweise nach der Bartholomäusnacht, während der zunehmenden Unterdrückungsmaßnahmen im 17. Jahrhundert und erst recht nach der Aufhebung des Edikt von Nantes deutlich an. Bis zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verließen Hugenotten ihr französisches Vaterland. Diese französisch-reformierten Glaubensflüchtlinge werden häufig in der Literatur und historischen Dokumenten Réfugiés genannt.[12]

Diese Menschen, die um der Freiheit ihres Glaubens willen Frankreich verließen, nahmen ein großes Wagnis auf sich, um ebendiesen Glauben andernorts frei ausüben zu dürfen. Oft waren es gemietete Führer, welche die Réfugiés über die stark bewachten Grenzen leiteten. Die Hugenotten aus dem Süden und Westen Frankreichs kamen zumeist über die Schweiz, die sich als bedeutsame Durchgangsstation erwies, in ihre Aufnahmeländer. Viele Hugenotten aus dem Westen wählten den Fluchtweg übers Meer und die Nordfranzosen wählten zumeist den Landweg.
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[1]     Eberhard GRESCH: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung, Leipzig 2005, S. 29.
[2]    Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden, Bd. 10, 8. Auflage 2001, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich, S. 97.
[3]    Jochen DESEL / Walter MOGK: Hugenottischer Almanach 1685-1985, Sickte 1985, S.18-21; Robert P. GAGG: Hugenotten. Profil ihres Glaubens, Basel 1984, S. 19-21.
[4]    Zitiert nach DESEL / MOGK, 1995, S. 20.
[5]     Meyers Großes Taschenlexikon, 2001, S. 97.
[6]    Folgende Literatur wurde für diesen Abschnitt zur Geschichte der Hugenotten zu Rate gezogen: Otto Erich STRASSER-BERTRAND / Otto Jan DE JONG: Geschichte des Protestantismus in Frankreich und den Niederlanden (= Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 3, Lieferung M2), Göttingen 1975; GAGG, 1984; Henri DUBIEF: Hugenotten, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Studienausgabe Teil 1, Bd. 15, Berlin / New York 1986, S. 618-629; Ingrid und Klaus BRANDENBURG: Hugenotten. Geschichte eines Martyriums, Leipzig 1990; Janine GARRISSON: Denn so gefällt es uns … Geschichte einer Intoleranz, Bad Karlshafen 1995; Jochen DESEL unter Mitwirkung von Andreas Flick und Ursula Fuhrich-Grubert: Hugenotten. Französische Glaubensflüchtlinge in aller Welt, Bad Karlshafen 2004, S. 2-12; GRESCH, 2005.
[7]   DUBIEF, 1996, S. 619.
[8] Julien COUDY (Hg.) mit einem historischen Abriß von Ernst Mengin: Die Hugenottenkriege in Augenzeugenberichten, München 1980.
[9]    DESEL, 2004, S. 8.
[10]     Fritz LIENHARD: Wird der französische Protestantismus aussterben? in: Hugenotten, 69. Jg., Nr. 3 2005, S. 130.
[11]    Eugene LACHENMANN: Refuge, in: Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Auflage, Bd. 16, Leipzig 1905, S. 522-536 (hier S. 528).
[12]   Walter MOGK: Réfugies, in: Der Deutsche Hugenott, 60. Jg., Nr. 2 1996, S. 35-43.


Dr. Andreas Flick