Bericht von der 4. Emder Tagung

Reformiertes Familientreffen in Emden

Zum vierten Mal hat der Verein für reformierte Kirchengeschichte e.V. zu einer Tagung nach Emden in die Johannes a Lasco Bibliothek eingeladen. Die Resonanz war wie bei den Zusammenkünften in den Jahren zuvor sehr gut: über 80 Anmeldungen aus dem In- und Ausland lagen vor. Und man kennt sich mittlerweile. So war der erste Griff nach der Anmeldung der nach der Teilnehmenden-Liste. Eifrig wurde studiert, wer noch alles zu erwarten ist. Und beim Eintreffen gab es dann eine besonders herzliche Begrüßung. Überhaupt ist der Ort der Bibliothek hervorragend für eine Tagung dieser Art und mit diesem Thema geeignet. Er strahlt eine große Ruhe aus und verleitet förmlich zum Arbeiten. Die ehemalige Große Kirche ist sicherlich mit einer der Gründe, warum die Forscherinnen und Forscher gerne den mitunter mühsamen Weg nach Emden auf sich nehmen.

Vor der eigentlichen Tagung begrüßte der Vorsitzende des Vereins Dr. J. Marius J. Lange van Ravenswaay die Mitglieder des „Vereins für reformierte Kirchengeschichte e.V.“ zu einer ordentlichen Mitgliederversammlung. In seinem Geschäftsbericht erläuterte er die Aktivitäten des Vereins und des Vorstandes. In das Amt des Vorsitzenden war Lange van Ravenswaay vor zwei Jahren neu gewählt worden, nachdem Dr. Dr. Harm Klueting sein Amt niedergelegt hatte. Neben dem erschienenen Tagungsband zu „Emden 3“ mit dem Titel „Historische Horizonte“, hat sich der Verein an zwei weiteren Tagungen beteiligt: Zum einen an der Tagung „Reformierter Protestantismus und Judentum im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts“, die von Dr. Achim Detmers und Dr. Henning Jürgens organisiert waren, sowie an dem Symposium aus Anlass des 100jährigen Geburtstags von Wilhelm Niesel, das von Hans-Georg Ulrichs initiiert und organisiert wurde. Der Vorsitzende schloss resümierend: „Es ist das erklärte Ziel unseres Vereins, das Bewusstsein für die reformierte Tradition wach zu halten und ihre wissenschaftliche Aufarbeitung zu fördern. Wir tun dies aber im Kontext eines Protestantismus in Deutschland und in Europa, der sich auch heute dem Reformiertentum weit über seine konfessionellen Grenzen hinaus verbunden weiß und das Gespräch mit römisch – katholischen, lutherischen und unierten Positionen sucht.“

Nach einer kurzen Pause eröffnete Lange van Ravenswaay die eigentliche Tagung. Er begrüßte die Teilnehmenden, insbesondere die ausländischen. Daran schloss sich die Verleihung des J.F.G.Goeters-Preises an, der an den verstorbenen Bonner Kirchengeschichtlicher erinnert und in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben wurde. Ausgezeichnet wurde mit dem mit 1500,- € dotierten Preis die Heidelberger Wissenschaftlerin Nicola Gwen Stricker. Der Vorstand war zu dem einstimmigen Ergebnis gekommen, ihre Dissertation mit dem Titel „Die maskierte Theologie von Pierre Bayle“ auszuzeichnen. Die Arbeit besteche durch Gründlichkeit, Übersicht und Kontextanalyse, so der Vorsitzende in seiner Laudatio. Vor zwei Jahren wurde der Preis an Daniel Bolliger verliehen für seine Dissertation „Infiniti contemplatio. Grundzüge der Scotus- und Scotismusrezeption im Werk Huldrych Zwinglis“.

An die Preisverleihung schloss sich der öffentliche Vortrag der Tagung an. Eingeladen war Dr. Andrew Pettegree von der Universität St. Andrews in Schottland. Aufgrund der unruhigen politischen Lage stand es lange Zeit auf der Kippe, ob der Referent kommt. Zur großen Freude und Erleichterung aller war er da und hielt seinen Vortrag zu: „Industrie und Intellekt. Der europäische Buchhandel und die Verbreitung des Protestantismus im 16. Jahrhundert“. Es war gut gewählt, diesen Vortrag öffentlich anzubieten, denn es gelang Pettegree, die ostfriesische Geschichte geschickt mit der weltpolitischen Lage des 16. Jahrhunderts zu verweben. Pettegree, dem Emden nicht unbekannt ist, hat seine Dissertation zu „Emden an the Dutch Revolt“ verfasst. Nach Abschluss dieser Arbeit fand er in den so genannten Englischen Staatspapieren ein Flugblatt eines in Emden lebenden Buchhändlers, das „eine neue Seite des Emder Buchhandels“ aufschlug, wie Pettegree sagte. Gaspar Staphorst, der 1562 zum ersten Mal in Emden Erwähnung findet, hatte auf seiner Angebotsliste Bücher in fünf Sprachen: lateinisch, deutsch, niederländisch, italienisch, französisch. Eine Analyse der Werke ergab, dass es sich bei allen um protestantische, theologische Werke handelte. Diese Werke waren nicht für den heimischen, ostfriesischen Markt bestimmt, sondern ganz offensichtlich für den Export nach England, um die dortigen sich neu bildenden Gemeinden zu unterstützen. Staphorst war somit eine Art Zwischenhändler für Bücher, und sein „Angebotszettel“ wirft ein sehr interessantes Licht darauf, wie und welche Werke im Umlauf waren.

 

Am Montag morgen sprach - nach der Morgenandacht in der Schweizer Kirche - Dr. Michelle Magdelaine (Paris) über „Geschichte einer Paradoxie. Frankfurt am Main und das hugenottische »Refuge«“. Sie zeigte auf, mit welchen Schwierigkeiten die reformierten Glaubensflüchtlinge in der Stadt bis ins 17. Jahrhundert hinein zu kämpfen hatten. Statt liberaler Aufnahme gab es massive Anzeichen von Abschottung und bewusster Ausgrenzung.

Nach der Aussprache und der Kaffeepause begannen die zum festen Bestand der Tagung gehörenden Kurzvorträge. Diesmal konnte man unter 16 Vorträgen aus den vier Themenbereichen: 16. Jahrhundert, 17. Jahrhundert, 18. und 19. Jahrhundert, sowie 19. und 20. Jahrhundert wählen. Die Referenten hatten 20 Minuten für ihre Kurzreferate, dann gab es eine kurze Zeit für Rückfragen, sowie 5 Minuten Zeit für einen möglichen Raumwechsel zu einer anderen Zeitleiste. Somit hatte jeder die Chance, ein breites Spektrum von eigenen Interessen und Vorlieben abzudecken. Die Bandbreite der Themen reichte vom Baseler Reformator Oekolampad (Thomas Opitz) bis hin zu den Deutschen Christen in Ostfriesland (Paul Wessels) und den Reformierten und „1968“ (Hans-Georg Ulrichs).

Nach so vielen Worten durfte die andere Hirnhälfte bei der Exkursion arbeiten. Am Nachmittag ging es mit einem Bus von Emden nach Aurich. Hier wurde die Gruppe vom Direktor der Landschaftsbibliothek Aurich, Martin Tielke, empfangen und durch den Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft geführt sowie in die Landschaftsbibliothek.

 

Schon gute Tradition ist der Empfang durch eine Landeskirche im Rahmen der Tagung geworden. In diesem Jahr sollte Präses Theo Sorg aus der Kirche von Westfalen die Teilnehmenden begrüßen. Aus terminlichen Gründen sollte statt dessen Ulrich Möller aus der Kirchenleitung dann den Termin wahrnehmen, der aber leider erkrankte. Somit hat der an der Tagung teilnehmende Pfarrer Ulrich Weiß (Siegen) spontan ein Grußwort für „seine“ Kirche gesprochen, was mit großer Freude und einem herzlichen Applaus quittiert wurde.

Bei gutem Essen und gutem Wein saß man bis spät in den Abend zusammen, frischte alte Kontakte auf, knüpfte neue, tauschte sich über Themen und Arbeiten aus.

 

Am Dienstagmorgen gab es nach der Morgenandacht eine Premiere auf der Tagung. Vor 200 Jahren ist der in Wuppertal wirkende Pastor Hermann Friedrich Kohlbrügge (1803-1875) geboren. Da es keine eigene, größere Veranstaltung in diesem Jahr zu Kohlbrügge gibt, hat sich der Vorstand entschlossen, interdisziplinär zwei Vorträge nacheinander zu Theologie und Person Kohlbrügges anzubieten. Zunächst von dem Utrechter Theologen Dr. Arie de Reuver zu „Hermann Friedrich Kohlbrügge, der Theologe des Kreuzes“ und im direkten Anschluss von dem Wuppertaler Historiker Dr. Volkmar Wittmütz „Hermann Friedrich Kohlbrügge, der Pfarrer der Separation“. Beide Vorträge ergänzten sich wunderbar und beleuchteten das Phänomen dieses nicht unumstrittenen Theologen von zwei Seiten. In der anschließenden Diskussion wurde dann intensiv nach der Wirkungsgeschichte Kohlbrügges gefragt und die Linien bis in die Zeit des Dritten Reichs gezogen.

In dem abschließenden Referat von Dr. Matthias Freudenberg (Erlangen/Bamberg) zu „Kirche Jesu Christi. Die Bedeutung des dreifachen Amtes Christi für das gegenwärtige ökumenische Gespräch“ wurden die Linien reformierter Theologie bis in die Gegenwart gezogen, indem er den Bogen von der Alte Kirche über Calvin und die Orthodoxie bis hin zum heutigen ökumenischen Gespräch auszog.

 

Der Vorsitzende des Vereins, Dr. Lange van Ravenswaay, dankte in seiner Schlussrede allen Beteiligten. Das Konzept dieser Tagung sei tragfähig, die Teilnehmenden bereit, sich auf den Weg nach Emden zu machen. Und deshalb steht auch der Termin der nächsten Tagung bereits fest: Vom 6. bis 8. März 2005 wird es wieder eine Tagung geben. Und die meisten haben sich zu diesen Termin bereits verabredet – so Gott will und wir leben.

 


Christian Züchner